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Feiern wir das sprachliche Erbe von Shakespeare

Bonnie Wong

19. April 2023

Some are born great […] Some achieve greatness […] And some have greatness thrust upon them

Shakespeare, Zwölfte Nacht, 3. Akt, Szene 4, Zeilen 1584-1588

Shakespeare, der als einer der einflussreichsten und wichtigsten englischsprachigen Schriftsteller zelebriert wird, gilt als Aushängeschild der meistgesprochenen Sprache der Welt. Als die Vereinten Nationen entscheiden mussten, an welchem Datum der Tag der englischen Sprache begangen werden soll, wählten sie den 23. April – Shakespeares Geburtstag.
Der Tag der englischen Sprache ist Teil einer Initiative, die von der UNO-Hauptabteilung für Globale Kommunikation eingeführt wurde. Die 2010 ins Leben gerufene Tage derSprachen sollen die Errungenschaften von Sprachen würdigen und ihre Rolle bei der Förderung von Kommunikation anerkennen. Jede Sprache ist zweifelsohne reich an Historie und Kultur, aber die Erfolgsgeschichte des Englischen im letzten Jahrhundert ist unerreicht und sein Platz auf der Weltbühne unangefochten.

Die Geschichte einer Sprache: zwei Seiten derselben Medaille

To me, fair friend, you never can be old,
For as you were when first your eye I ey’d, Such seems your beauty still.

Shakespeare, Sonett 104, Zeilen 1-3

Die englische Sprache war ist uns alle ein Segen und dient als Währung für die Erschließung neuer Möglichkeiten. Wie so oft gibt es aber zwei Seiten der Medaille: eine glänzende und eine stumpfe. Der enorme Erfolg des Englischen ist kaum von den eher kontroversen Aspekten, die damit verbunden sind, zu trennen. Wir wissen, dass die Sprachen der Mächtigen im Laufe der Geschichte andere Sprachen und ihre Varianten verdrängt, gefährdet oder sogar zum Aussterben gebracht haben. Wer sich eingehender mit der Komplexität und Entwicklung des Englischen befassen möchte, sollte vielleicht das Buch English as a Global Language lesen. Der britische Linguist David Crystal gibt darin einen umfassenden Überblick über die Machtpolitik, die dem Englischen seinen Status als heutige Universalsprache verschafft hat.

Allein die Anzahl derjenigen, die Englisch sprechen, lernen oder lernen möchten und die Sprache als Instrument für berufliches und persönliches Weiterkommen nutzen, ist überwältigend. Schätzungsweise 1,5 Milliarden Menschen sprechen Englisch neben ihrer Muttersprache oder lernen Englisch. Jedoch verfügen nicht alle Menschen über die Ressourcen, Englisch zu lernen. Das ändert sich aber schnell. Große Anstrengungen werden unternommen, um allen Menschen die Möglichkeit zum Erlernen der englischen Sprache zu geben. Fortschritte in Technologie und E-Learning-Methoden spielen zweifellos eine wichtige Rolle bei der Erreichung dieses Ziels.

Die englische Sprache ist ein wichtiges Mittel für die umfassende Verbreitung von Wissen, den Austausch von Informationen und Ideen und Zusammenarbeit in allen Disziplinen und Bereichen. Dank des fast weltweit verstandenen Mediums der englischen Sprache erhalten Akademiker:innen, Künstler:innen und Aktivist:innen, die sonst vielleicht nicht gehört würden, eine Stimme über Grenzen hinweg. Der stetige Erfolg des Englischen führt paradoxerweise zu einem stärkeren Bewusstsein für die Anfälligkeit gefährdeter Sprachen, insbesondere durch die zunehmend internationalisierte Forschung im Bereich der Spracherhaltung. Zusätzlich zu den Bemühungen der UN und der UNESCO binden Initiativen wie das World Oral Literature Project und das Endangered Languages Project Institutionen auf der ganzen Welt in die Maßnahmen zur Rettung unserer Sprachen ein – und nutzen dabei Englisch als Kommunikationsmittel.

Eine lebendige Sprache

The language I have learn'd these forty years, My native English, now I must forego

Shakespeare, Richard II, 1. Akt, Szene 3, Zeilen 456-457

Apropos Bewahrung: Sprachpuristen beklagen schon lang den sogenannten Verfall des Englischen aufgrund ausländischer Einflüsse und der weit verbreiteten Anwendung informeller und umgangssprachlicher Ausdrücke. Ironischerweise ist Englisch eine der Sprachen, die die die meisten Entlehnungen aus anderen Sprachen aufweist. Der tatsächliche Prozentsatz der Lehnwörter variiert je nach Quelle, wobei der höchste Prozentsatz bei 80 % liegt. Möchten diese Puristen vielleicht, dass wir wie Shakespeare-Figuren sprechen? Ich wage zu behaupten, dass die meisten, wenn nicht sogar alle englischsprachigen Menschen – ob Muttersprachler, Nicht-Muttersprachler, pedantische und auch nachlässige Personen – es absurd finden würden, zu schreiben: „Could thou please explain wherefore thou were absent from yesterday’s department meeting?“

Ebenso ist es zutiefst unsinnig, darauf zu bestehen, dass das „Queen's English“ (oder sollte das jetzt „King's“ heißen?) das einzig wahre oder korrekte Englisch ist – als ob die von ihr gesprochene Sprache in einem statischen oder sogar stagnierenden Kontinuum existieren würde. In einer Folge seiner gesellschaftskritischen Videoreihe „Soapbox“ kritisiert der britische Fernsehstar David Mitchell Sprachpedanten und sagt, dass selbst die Queen sicher wolle, dass andere „ihr Englisch“ so verwenden, wie sie es für richtig halten. Ich stimme Mitchell zu, dass Menschen in der Lage sein sollten, unterschiedliche Schreibweisen und lokale Synonyme zu verwenden, ohne dafür stigmatisiert zu werden (das ist übrigens ein hervorragendes Beispiel für diese transatlantische orthographische Spannung: „stigmatise" in britischem Englisch und „stigmatize" in US-Englisch).

Andererseits (und ich behaupte, Mitchell würde dem zustimmen) sollten Sprachlernende sich mit Grammatik beschäftigen, da sie den Rahmen für kohärente Kommunikation in einer bestimmten Sprache bildet. Sie sollten aber auch die Flexibilität von Sprache und die gängigen, wenn auch weniger formellen sprachlichen Konventionen kennenlernen. Zum Beispiel gilt es üblicherweise als falsch, „if I was“ statt „if I were“ zu sagen, um eine Kondition oder Hypothese auszudrücken, wie in „If I were a bear“ – aber viele Menschen sagen „if I was“, ohne missverstanden zu werden.

Sprachlicher Pluralismus als kultureller Pluralismus

What's in a name? that which we call a rose
By any other name would smell as sweet

Romeo und Julia, Zweiter Akt, Szene II, Zeilen 890-891

Das anerkannte und gemeinsame Verständnis von Sprachanwender:innen über die Bedeutung eines umgangssprachlichen Ausdrucks macht diesen häufig legitim – unabhängig davon, ob die Wortkombination tatsächlich Sinn hat. Im dem gleichen Video hetzt Mitchell gegen die Verwendung des unlogischen „could care less“, wenn man eigentlich „couldn’t care less“ meint. Es stimmt, dass „could care less“ keinen Sinn ergibt – allerding genau so wenig wie „raining cats and dogs“ oder die Wendung „cold turkey“, mit der der Verzicht auf eine Angewohnheit bezeichnet wird. Und doch verstehen viele englischsprachige Menschen, was damit gemeint ist. Warum also können wir nicht „could care less“ sagen und „couldn’t care less“ meinen? Die konzeptionelle Lücke ist unbedeutend im Vergleich dazu, von Katzen und Hunden auf Regen zu schließen oder zu verstehen, wie ein großer, kalter Wildvogel uns dabei helfen kann, das Rauchen aufzugeben. Die darwinistischen Sprachveränderungen vollziehen sich allmählich und schrittweise und passen sich an die Bedürfnisse ihrer Anwender:innen an. Zum Beispiel wurde „oriental“ in den 60er und 70er Jahren zu einem antiquierten und abwertenden Wort, „wicked“ bedeutete in den 20er Jahren auch „excellent“ und „woke“, das erstmals in den 40er Jahren auftauchte, war schon immer politisch aufgeladen, wird aber heute je nach Sprecher:in verwendet, um zu beleidigen oder zu bestärken. In der Hauptstadt Europas ist von den Personen, die für die europäischen Institutionen und mit ihnen arbeiten, eine Form von „Euro”-Englisch entwickelt worden, demzufolge man auf „missions” geht, um „trilogues” mit „perm reps” abzuhalten. Nicht-Muttersprachler:innen haben ihre eigenen englischen alltagssprachlichen Ausdrücke geschaffen, die von einer internationalen Benutzergruppe verstanden und täglich verwendet werden. Tatsächlich ist Englisch eine so feste Größe in der Kommunikation, dass viele internationale Zentren wie Brüssel und Helsinki erwägen, Englisch zu einer Amtssprache zu machen.1

Englisch im ständigen Wandel

[W]e know what we are, but know not what we may be.

Shakespeare, Hamlet, Vierter Akt, Szene V, Zeile 2905

In gewisser Weise wird die englische Sprache jeden Tag „zelebriert“, schon allein, weil sie so allgegenwärtig ist. Sprachen sind lebendig und haben das Potenzial, sich auf natürliche Weise in Varianten zu verzweigen, die jeweils eine eigene Grammatik, einen eigenen Wortschatz und eine eigene Aussprache haben. Es gibt bereits eine lange Liste von Kreolsprachen, die auf Englisch basieren und als natürliche Sprachen anerkannt sind. Und derzeit diskutieren und verteidigen Redner:innen und Wissenschaftler:innen gleichermaßen das afroamerikanische Englisch und das hispanische Chicano-Englisch als eigenständige natürliche Sprachen. Angesichts der Komplexität und der facettenreichen Geschichte des Englischen verwundert es nicht, dass wir der Sprache einen Tag widmen und all das feiern, was die Sprache war, ist und sein wird. Leider kann ich keine eingehendere Analyse der Sprache leisten, da ich mich an das vorgegebene Wortlimit halten muss. ​​In diesem Sinne beende ich meine Ausführungen mit Shakespeare: „Wo Worte selten sind, haben sie Gewicht“.

Zitierte und konsultierte Werke

Chua, A. (2022). ‘How the English Language Conquered the World’, The New York Times, 18. Jan. Verfügbar unter https://www.nytimes.com/2022/01/18/books/review/the-rise-of-english-rosemary-salomone.html (abgerufen am 10. März 2023). Dictionary.com (2018).

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Fogarty, M. (2020). ‘Could Care Less Versus Couldn’t Care Less’, Grammar Girl: Quick and Dirty Tips, 16. Jan. Verfügbar unter https://www.quickanddirtytips.com/articles/could-care-less-versus-couldnt-care-less/ (abgerufen am 15. März 2023).

Harper, D. (2017), ‘wicked (adj.)’, Online Etymology Dictionary, 3. Juni. Verfügbar unter https://www.etymonline.com/word/wicked (abgerufen am 21. März 2023).

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Mitchell, D. (2010) ‘Dear America…’. YouTube, hochgeladen von David Mitchells SoapBox, 20. Mai. Verfügbar unter https://www.youtube.com/watch?v=om7O0MFkmpw (abgerufen am 10. März 2023).

Mirzaei, A. (2019), ‘Where “woke” came from and why marketers should think twice before jumping on the social activism bandwagon’, The Conversation, 8. Sep. Verfügbar unter https://theconversation.com/where-woke-came-from-and-why-marketers-should-think-twice-before-jumping-on-the-social-activism-bandwagon-122713 (abgerufen am 21. März 2023).

Rose, S. (2020), ‘How the word “woke” was weaponised by the right’, The Guardian, 21. Jan. Verfügbar unter https://www.theguardian.com/society/shortcuts/2020/jan/21/how-the-word-woke-was-weaponised-by-the-right (abgerufen am 21. März 2023).

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