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Praktisch erlebter Multikulturalismus

Fernanda Rodrigues

17. Mai 2023

Betrachtungen zum Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung und ihrer Allgegenwart im brasilianischen Alltag.

Wir wissen alle nur zu gut, dass die Globalisierung unsere Welt in einen Raum ohne Grenzen verwandelt hat. Da der Zugang zu Reisen und zum Internet immer einfacher wird, können wir verschiedene Sprachen und Kulturen kennenlernen und den Austausch mit ihnen pflegen und so unseren Wissenshorizont sowohl auf persönlicher, gesellschaftlicher und beruflicher Ebene erweitern. Gleichermaßen ist es möglich, dass wir unsere kulturellen Wurzeln verstärken und unser Kulturerbe an andere weitergeben. Als Lehrerin, die brasilianisches Portugiesisch als Muttersprache und Englisch als Fremdsprache unterrichtet, denke ich immer wieder über die Gemeinsamkeiten und Eigentümlichkeiten nach, die das Denken und Leben in diesen beiden Sprachen mit sich bringt – nicht nur für mich, sondern auch für meine Schüler/-innen und alle, die bei uns leben.

Allgegenwärtige kulturelle Vielfalt

Der 21. Mai ist der Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung und wurde von der UNESCO ausgerufen, um das Bewusstsein für einen Dialog zu schärfen, der Frieden und nachhaltige Entwicklung zwischen den Nationen fördert und auf dem multikulturellen Reichtum der UNESCO-Mitgliedsländer beruht. Das mag sich etwas abgehoben anhören, ist aber in unserem täglichen Leben allgegenwärtig.

Ich lebe in São Paulo (Brasilien), der größten Stadt Lateinamerikas und den Vereinten Nationen zufolge der viertgrößten Stadt der Welt. Hier wird Multikulturalität gelebt, und ich sehe praktisch an jeder Ecke, wie wichtig sie dafür ist, was diese großartige Stadt ausmacht. Hier gibt es ganze Stadtviertel, die von unterschiedlichsten ethnischen Gruppen gegründet wurden und bewohnt werden: Japaner/-innen in Liberdade, Menschen aus Italien in den Gegenden Bexiga, Brás, Mooca und Barra-Funda, Ureinwohner/-innen in Jaraguá und Parelheiros, Afrikaner/-innen im Zentrum sowie Gruppen koreanischer, chinesischer und jüdischer Abstammung in Bom Retiro ... Die Liste ist schier endlos, und es ist interessant festzustellen, wie diese Menschen, die zwar lokale Communities aufgebaut haben, sich in der Metropole umherbewegen, ihr Wissen mit sich bringen und es mit dem der anderen zusammenführen.

Vielleicht wurde São Paulo aus diesem Grund im Jahr 1997 als gastronomische Hauptstadt der Welt ausgezeichnet. Restaurants aus 43 verschiedenen Ländern sind in unserer Stadt zuhause. Damit hat sie laut einem Bericht der Tageszeitung Folha de São Paulo „die größte Vielfalt an landestypischen Küchen in einer Hauptstadt“. Diese Multikulturalität ist bereits so sehr in unserem Leben verankert, dass wir oft nicht viel darüber nachdenken, auch wenn sie in unserem Kalender steht und in der Architektur der Straßen und im Verhalten derer, die hier geboren sind, zum Ausdruck kommt. Man erlebt Multikulturalität zum Beispiel, wenn man mit Freunden zusammen das japanische Food-Festival besucht, das jedes Wochenende im Viertel Liberdade stattfindet, oder man das chinesische Neujahrsfest feiert oder in dem traditionellsten italienischen Fest Brasiliens, dem Nossa Senhora de Achiropita-Festival: Dann werden in den Straßen rund um die Kirche Nossa Senhora de Achiropita Essensstände aufgebaut, und die Damen des Viertels Bexiga – die liebevoll „Nonna" (Oma) genannt werden – bieten alle Arten selbstgemachter italienischer Nudeln und Süßigkeiten zum Verkauf an. Neben dem kulinarischen Angebot werden traditionelle italienische Musik und Tänze zur Unterhaltung des Publikums dargeboten. Das Zusammentreffen von Menschen aus allen Teilen der Stadt, die diese Traditionen am Leben erhalten möchten, ermöglicht Tausenden den Zugang zu unterschiedlichen Kulturen.

Dieser kulturelle Austausch beschränkt sich nicht nur auf die Gastronomie. Drauzio Varella – Arzt, Medienpersönlichkeit und Autor – ist ebenfalls italienischer Herkunft. Varella hat mehrere Bücher geschrieben, darunter Estação Carandiru, und sein Werk wurde von dem Filmemacher Héctor Babenco für das Kino adaptiert und unter dem Titel Carandiru: O filmeveröffentlicht. Von japanischer Seite wurde die Stadt wiederum durch die Künstlerin Tomie Ohtake beeinflusst. Tomie kam 1936 nach Brasilien und ließ sich hier nieder, da sie wegen des Pazifikkriegs nicht in ihr Heimatland zurückkehren konnte. Sie heiratete, bekam zwei Kinder und startete im Alter von 40 Jahren eine erfolgreiche Künstlerlaufbahn. In São Paulo kann man ihre Werke immer noch an verschiedenen Orten bewundern, beispielsweise in der Avenida 23 de Maio, Anhangabaú, Cidade Universitária, im Ibirapuera-Auditorium und im Auditorium desMemorial da América Latina. Mittlerweile hat sich der japanische Einfluss von Tomie Ohtake auch auf andere brasilianische Städte wie Ribeirão Preto, Belo Horizonte, Curitiba, Brasília, Araxá und Ipatinga ausgebreitet. Im Lauf ihrer Karriere hatte die Künstlerin auch die Gelegenheit, Ihre Kunst in ihr Heimatland Japan zurückzubringen.

Diese Beispiele zeigen uns bereits, wie wichtig ein Datum wie der Welttag der kulturellen Vielfalt für den Dialog und die Entwicklung ist. Indem man diese kulturelle Vielfalt feiert, ehrt man all die Menschen, die die Stadt São Paulo und Brasilien insgesamt aufgebaut haben und weiterhin ihren Beitrag leisten. Beide sind gewaltig, nicht nur in geografischer und wirtschaftlicher Hinsicht, sondern auch in Bezug auf das immaterielle Kulturerbe wie Sprache und Literatur, Küche, Tanz, Musik und viele andere soziokulturelle Aspekte.

Die Bedeutung des Dialogs

Genau wie in meiner Stadt sieht die UNO diesen Multikulturalismus als eine Möglichkeit, Dialoge zu fördern, die zur menschlichen Entwicklung beitragen. Als Lehrerin weiß ich, dass Dialog die Willkommenskultur unterstützt und Brücken baut. Das ist für Studierende und Lehrkräfte von Sprachen von fundamentaler Bedeutung, damit sie ihre Studien fortführen und sowohl ihre Neugierde auf neue Kulturen bestärken als auch ihr Einfühlungsvermögen in andere Menschen verbessern können. Eine Sprache lernt man nicht, um sie ausschließlich im Klassenzimmer anzuwenden, sondern jenen Multikulturalismus zu verbreiten, an den uns dieses Datum erinnert.

Wenn ich von Einfühlungsvermögen spreche, dann deshalb, weil ich meinen Schüler/-innen immer wieder deutlich mache, dass man eine Sprache nicht einfach nur um ihrer selbst willen lernt oder verbessert. Wenn wir Sprachen lernen, möchten wir mit anderen Menschen in Beziehung treten, Freundschaften schließen, Unternehmen gründen und Familien gründen. Das kann auf einer Reise ins Ausland ebenso stattfinden wie in unserer Heimatstadt. São Paulo zum Beispiel ist Sitz großer Unternehmen und empfängt Touristen aus aller Welt wegen seiner großen Veranstaltungen, darunter der Karneval, die LGBTQIAP+-Parade, große Musikfestivals, die Formel 1 und das Straßenrennen São Silvestre. Darüber hinaus haben die Migrationsbewegungen aufgrund der COVID-19-Pandemie und der militärischen Konflikte in Europa, anderen lateinamerikanischen Ländern und im Nahen Osten stark zugenommen. Viele dieser Menschen sind nicht einfach Durchreisende, sondern sind – im Gegensatz zu Touristen – gekommen, um zu bleiben. Wenn wir wissen, wie wir kommunizieren, wenn es uns gelingt, nicht nur andere und ihre Kultur zu verstehen, sondern auch selbst verstanden zu werden und zu erreichen, dass unsere Kultur wertgeschätzt wird, dann können wir Bande knüpfen und außerdem auf nachhaltige und friedliche Weise zusammenleben.

Einsatz für Unterstützung, Rechte, Integration und Frieden

Es ist auch hervorzuheben, dass der Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung nicht nur zu Ehren des Multikulturalismus gefeiert wird, der in unserem täglichen Leben so präsent ist, sondern auch ein Datum, an dem wir für uns für mehr Respekt und Gerechtigkeit in der Gesellschaft einsetzen. Wie ich bereits sagte, denken wir nicht oft darüber nach, wie viele Kulturen in unserem täglichen Leben gegenwärtig sind. Deshalb ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass dieser Tag bezweckt, die Gespräche über die vier Säulen der UNESCO weiterzubringen:

  • Nachhaltige Systeme der Governance im Kulturbereich unterstützen, Bewusstsein für die Bedeutung von interkulturellem Dialog, Vielfalt und Inklusion wecken.
  • Einen ausgewogenen Austausch an kulturellen Gütern und Dienstleistungen erreichen und die Mobilität von Kunst- und Kulturschaffenden steigern, indem man alle dazu bringt, sich zu engagieren und die Vielfalt durch echte Aktionen in ihrem Alltag zu unterstützen.
  • Kultur in Rahmenpläne für nachhaltige Entwicklung integrieren.
  • Menschenrechte und Grundfreiheiten fördern, Polarisierung und Stereotype bekämpfen, um Verständnis und Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen zu verbessern.

Wie kann man diesen Tag feiern?

Es gibt viele Möglichkeiten, diese von der UNESCO vorgesehenen vier Säulen mit Leben zu erfüllen, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass die Kultur eines Volkes ein wichtiger Bestandteil der Persönlichkeitsbildung jedes Einzelnen ist.

Wenn Sie in São Paulo sind, können Sie einige Museen und kulturelle Einrichtungen besuchen, die uns bei unseren Betrachtungen über dieses sehr wichtige Thema unterstützen. Meine Empfehlungen:

Zudem ist es auch möglich, ein Buch zu schreiben, einen Blog zu führen, Videos und Podcasts über unsere Kultur aufzunehmen, sich für ein Auswahlverfahren an einer Universität oder für eine Stelle in einem multinationalen Unternehmen zu bewerben, Freiwilligenarbeit im Ausland zu leisten, gute lokale Initiativen in sozialen Netzwerken zu promoten und die Sprache der Menschen zu lernen, mit denen wir Kontakt pflegen. Dabei kann Altissia helfen. Auf der Plattform können werden Portugiesischkurse angeboten und Portugiesisch sprechenden Interessenten stehen 24 weitere Sprachen (Bulgarisch, Dänisch, Deutsch, Englisch, Estnisch, Finnisch, Französisch, Griechisch, Italienisch, kanadisches Französisch, Kroatisch, Lettisch, Litauisch, Nordamerikanisches Englisch, Polnisch, Rumänisch, Schwedisch, Slowakisch, Slowenisch, Spanisch, Tschechisch, Türkisch und Ungarisch) zur Verfügung.

Durch das Lernen einer neuen Sprache und Weiterführung des Sprachunterrichts auf der Altissia-Plattform können Teilnehmende und Lehrkräfte nicht nur im Jahr 2023, sondern auch in allen kommenden den Welttag der kulturellen Vielfalt für Dialog und Entwicklung feiern.

Referenzen:

  • Drauzio Varella. Drauzio. Abgerufen am Freitag, 14. April 2023.
  • Folha de São Paulo. SP receives the title of gastronomic capital of the world. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.
  • Globo G1. Immigrant’s Day: city of SP has more than 360 thousand foreigners living legally. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.
  • Tomie Ohtake Institute. Tomie Ohtake. Abgerufen am Freitag, 14. April 2023.
  • Nossa Senhora Achiropita. The party. Abgerufen am Freitag, 14. April 2023.
  • United Nations. UN marks World Day for Cultural Diversity for Dialogue and Development. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.
  • United Nations. Protecting the diversity of cultural expressions is more important than ever. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.
  • United Nations. Protecting our cultural diversity is more important than ever. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.
  • World City Populations 2023. World Population Review. Abgerufen am Montag, 10. April 2023.